Ende April, die Raubfischschonzeit war bei uns vorbei und mit den ersten Würfen frühmorgens – auf der Suche nach dem ersten Hecht der Saison – waren meine Sucht und mein Verlangen nach den Karpfen erstmal erloschen. Zuvor war ich seit Anfang März meist dreimal pro Woche draußen gewesen, bei harten Wetterbedingungen zum Frühlingsanfang. Nun musste erstmal ordentlich Abwechslung her, um neue Energie für die erst begonnene Karpfensaison zu tanken. Und tatsächlich: Nach ein paar Würfen biss der erste Hecht des Jahres, womit auch direkt feststand, dass ich bis zu einem geplanten Raubfischtrip nach Holland meine Zeit auf dem Boot beim Spinnangeln verbringen würde.
Allerdings hing noch ein Plan im Hinterkopf fest, der mich nicht in Ruhe ließ. In der letzten Aprilwoche war Vollmond und diesen wollte ich effektiv und gut vorbereitet fischen – zwei Tage mit Laurent sollten dafür genügen. In der Woche zuvor schaute ich mir zwei verschiedene Bereiche an, bei denen die Chancen auf einen großen Fisch gut waren. Leider war der erste Spot etwas zu ungemütlich und unsicher, denn seit dem ersten Corona-Lockdown war der Parkplatz, von dem aus man den Bereich beangeln konnte, der neue Top Spot der Straßennutten geworden. Die Folgen waren viel Unruhe und jede Menge Polizeikontrollen. Beim zweiten interessanten Bereich verhielt es sich komplett anders: Er lag auf der anderen Uferseite mitten in der Pampa und war nur mit dem Boot erreichbar – was natürlich wiederum das Vorfüttern deutlich arbeitsintensiver gestalten würde.
Im Endeffekt entschieden wir uns für die Ruhe und Natur des zweiten Spots, auch wenn ich zugeben muss, dass ich eine komische Liebe zu merkwürdigen Angelplätzen pflege. Also zu solchen Spots, an denen es nachts schwer ist, Schlaf zu finden, an denen das Hin und Her komischer Leute es tagsüber unmöglich macht, an einen Mittagsschlaf zu denken – kurz gesagt: Spots, an denen man zwei Tage fischt und anschließend nur noch nach Hause will, sich ins Zimmer einsperrt und zehn Stunden durchschläft.
Beim ersten Füttern verteilte ich großflächig fünf Kilo Boilies zwischen einem und drei Metern Wassertiefe, immer einer kleinen Kante entlang, die noch voll von altem, mit Löchern durchzogenem Kraut war. Ganz offensichtlich kamen die Fische hier öfter her, um zu fressen. Das Wasser war um diese Jahreszeit noch sehr klar, so dass ich bei den nächsten Futteraktionen mit dem Aquascope genau die Plätze kontrollieren und die Futtermenge anpassen konnte. Die Boilies waren jedes Mal weg und der Boden in den krautfreien Löchern schien immer mehr wie blankpoliert.
Bei milden Temperaturen und Nieselregen steuerten wir am Nachmittag vor dem Vollmond in unseren kleinen Schlauchbooten den Platz an – ich hatte ein gutes Gefühl und alles schien zu passen. Um 18 Uhr lagen alle vier Ruten im Wasser, während der Regen immer stärker wurde. Nach einem guten Essen hießen uns unsere trockenen Liegen dann für etwas Schaf willkommen. Dieser war bitter nötig, denn Laurent war schon um 4 Uhr morgens in der Bäckerei und ich eine Stunde später an der Bootsrampe gewesen, um die ersten Morgenstunden mit den Raubfischen zu genießen. Besonders gut war es zwar nicht gelaufen, aber ich hatte als Beifang einen richtig großen Wels auf eine kleine Hechtrute fangen können.
Bis in die letzten Stunden der Dunkelheit konnten wir tatsächlich durchschlafen, als sich endlich meine RX-Funkbox meldete. Schnell sprang ich von der Liege, packte die Rute und steuerte mit dem Boot in Richtung Fisch, der zum Glück ins Freiwasser gezogen war. Ruhig und langsam konnte ich ihn drillen, denn er war ebenso ruhig, zeigte keinerlei Nervosität und blieb tief am Grund. Mir war klar, dass das, sollte es kein Wels sein, ein richtig guter Fisch sein würde. Langsam kam er vom Grund hoch und mir begannen die Nerven zu flattern, als ich eine helle, große Masse ausmachen konnte. Nach zwei missglückten Kescherversuchen, gefolgt von einem brutalen Lauf, schlossen sich dann endlich die Maschen um ihn. Ich ruderte zurück und weckte Laurent, der noch im Land der Träume war. Zwischenzeitlich war es hell geworden und nach einigen Kaffees wogen und fotografierten wir diesen grandiosen Spiegler. Der Fisch sah jung und unberührt aus, so dass ich jetzt schon davon träume, ihn noch ein paar weitere Male zu fangen.
Wir freuten uns riesig, dass der Plan aufgegangen war, und so genossen wir den Tag. Am Nachmittag kam sogar die Sonne raus und sie brachte einen kleinen Schuppenkarpfen als Besucher mit.
Auf die Nacht hin legten wir unsere vier Ruten neu. Im Gegensatz zum Vorabend war der Himmel diesmal sternenklar, der Luftdruck war leicht gestiegen und die Luft fühlte sich durch den Nordwind deutlich kälter an. Die erste Nachthälfte über blieb es komplett ruhig, bis ein riesiger Döbel etwas Hoffnung – und gleichzeitig Enttäuschung – verursachte. Erst frühmorgens, etwa zur gleichen Zeit wie am Tag zuvor, lief die gleiche Rute wieder ab. Laurent schnappte sie sich und wir sprangen diesmal gemeinsam ins Boot. Der Fisch zeigte keinen Widerstand und ließ sich kampflos wie ein schwerer Stein hochkurbeln. Umso größer war das Erstaunen, als wir im Schein der Kopflampen die riesigen Ausmaße sahen – wir trauten unseren Augen nicht! Dieser Karpfen war noch viel größer als der der vorangegangenen Nacht! Rund, breit, mit einem schrägen Maul – alles in allem ein absolut ungewöhnliches Tier. Er sah uralt aus und hätte bestimmt tausende Geschichten von seinem Leben zu erzählen gehabt.
Nach dieser unglaublich geilen Aktion war ich noch ein paar Mal auf Karpfen am Wasser, aber ohne große Motivation und bahnbrechenden Erfolg. Es war die Zeit für eine Karpfenpause gekommen – und so war ich bis Mitte Juli nur noch ein Raubfischangler.
Guido
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