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Guido Richard: In der Ferne werden Erinnerungen wieder lebendig (3)

Guido Richard: In der Ferne werden Erinnerungen wieder lebendig (3)

Januar 2024, Westcoast, Neuseeland: In dieser Gegend kann es bis zu 6m Regen pro Jahr geben, der Durchschnitt bei fast 250 Regentagen. Ein traumhaftes Revier zum Fliegenfischen, das aber sehr schnell für den Angler völlig ungemütlich werden kann. Besonders dann, wenn man nach einem langen Tag im strömenden Regen nur sein kleines Wanderzelt als Schutz hat und es dank klatschnassem Holz kaum hinbekommt, ein Feuer am Leben zu halten. Wenn man dann noch die Unmengen bluthungriger Sandfliegen dazu zählt, dann kann sich wohl jeder vorstellen, dass es schnell recht ungemütlich werden kann. Heute hatte ich jedoch die absolute Ausnahme und konnte an einem wunderschönen Tag unter blauem Himmel einige Fische auf Zikaden-Muster fangen. Es gibt wohl nichts Schöneres, als im glasklaren Wasser zu beobachten, wie eine große Forelle langsam zur Oberfläche steigt, das Maul öffnet und sich deine Fliege schnappt. Der anschließende Drill ist ohnehin unvergleichlich: flussaufwärts, flussabwärts, um jeden Stein, unter jede Uferböschung, solange, bis es bei den ersten Erschöpfungsanzeichen gelingt, den Fisch abzuschöpfen. 

Am Feuer, unter einem bombastischen Sternenhimmel – und vor allem bei Trockenheit – ließ ich den Tag in Ruhe ausklingen.

2022, bei mir zu Hause: Seit dem Abend, als ich gemeinsam mit Raph den großen Spiegler ein zweites Mal hatte fangen können, ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Mittlerweile stand der Plan: Ich wollte den Riesen im November auf der Matte haben.

Bewusst befischte ich das Gewässer über das ganze Jahr hinweg nicht, zu groß war die Gefahr, dass er erneut auf mein Futter stoßen und ich ihn mit weniger Gewicht im Sommer oder Herbst fangen könnte. So hatte ich vor, drei Wochen vor dem November-Neumond mit dem Füttern loszulegen, um ihn anschließend genau zur gleichen Mondphase wieder zu beangeln. Als Bait sollte der gleiche, einfache Fischmehlboilie dienen, den Alex abrollen lässt und an mich weitergibt, denn dieser hatte schon die letzten beiden Fänge hervorgebracht. Davon wollte ich jeden zweiten Tag circa 2,5 kg füttern. Auch die Platzwahl fiel mit einem relativ krautfreien Bereich, bei dem ich bequem mit der Wurfschaufel den Fuß der Steinpackung füttern konnte, ähnlich aus wie schon die letzten Male. Der einzige Unterschied, den ich machte, war, dass das dichte Kraut dieses Mal den Bereich quasi einkreiste. Hintergedanke hierbei war, dass die Fische bei kälter werdendem Wasser Schutz und Nahrung in ebendiesem Kraut finden.

Anfang Oktober ging es eine Woche mit Alex zum Fliegenfischen nach Slowenien, direkt darauf zur Messe nach Wallau, um am Stand von Hammer Tackle mitzuhelfen. Eigentlich wollte ich ja, wie schon erwähnt, im November zum Neumond fischen. Allerdings lag dieser erst am Ende des Monats und die Gefahr war groß, dass das Wetter zu schlecht und das Wasser zu kalt sein würden. So setzte ich meinen Termin bereits auf Ende Oktober – aber wie gehabt, zwei Nächte nach dem Neumond. Um hierzu für genügend Futterrationen zu sorgen, ging in der Zeit, als ich in Slowenien war, zum Glück ein Freund füttern und ich konnte dann bis zum Tag vor dem großen Angriff den Zweitagesrhythmus weiterfahren.

Ganz in Ruhe fuhr ich erst am späten Nachmittag ans Wasser. Das Wetter war noch sehr warm für Ende Oktober, Ruten richten im T-Shirt war angesagt. Bis 2 Uhr nachts fing ich sechs Fische, darunter ein hübscher Koi und ein cooler 23 kg Schuppenkarpfen – der große Spiegler zeigte sich jedoch nicht. 

Den nächsten Versuch legte ich auf den Vollmond Anfang November, wozu ich meine Futterstrategie beibehielt. In der ersten Novemberwoche wechselte das Wetter: konstanter, milder Südwind, Tiefdruck und Regen. Am Abend nach dem Vollmond stand ich voller Hoffnung ich wieder am Ufer, doch bis Mitternacht passierte erst einmal gar nichts. Erst, als ich einen kleinen Spiegler wieder schwimmen ließ, feuerte auch die zweite Rute los. Im Drill vermutete ich noch einen durchschnittlichen Fisch, als er aber das erste Mal an der Steinpackung an die Oberfläche kam, erblickte ich große, runde Ausmaße und … einen Spiegler. Wenige Minuten später dann im Kescher die Gewissheit: Er war es – mein Plan war aufgegangen. Ungefähr ein Jahr war vergangen und nun lag er erneut vor mir, gefangen nicht bei Neu-, sondern Vollmond. Und: Mit 30,5 kg war mein Traum wahr geworden!

Trotz vorgerückter Stunde kam mein Freund Antoine vorbei, um den Fisch zu fotografieren und anschließend bei bester Verfassung wieder schwimmen zu lassen. In dieser Nacht schlief ich ein mit dem Gefühl, alles richtig gedacht und gemacht zu haben, um das Glück auf meiner Seite zu haben.

Bis bald – morgen geht’s wieder los auf neuseeländische Forellen.

GUIDO

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