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Guido Richard: Der große Traum

Guido Richard: Der große Traum | Hammer Tackle

Die Geschichte beginnt im Mai 2019. Ich kam von einem kompletten Jahr Fliegenfischen in Neuseeland nach Frankreich zurück. Und war wieder heiß aufs Karpfenangeln! Doch weder der Kanal noch die üblichen kleinen Stauseen meiner Region machten mich an. Ich hatte dort einfach schon zu oft geangelt und der Reiz war weg.

Ich war ganz Feuer und Flamme für ein großes Gewässer, an dem ich bereits viele Tage verbracht und viel geblankt hatte. Weil ich auch sehr viel mit der Spinnrute an diesem Gewässer unterwegs war, hatte ich einen guten Plan, wo ich die Fische im Frühling finden konnte. Mein Augenmerk lag dabei hauptsächlich auf einen riesigen Arm mit ca. 150 Hektar und sehr vielen Flachwasserbereichen und Kraut. Den ganzen April lang fischte ich verschiedene Bereich und hielt immer mit dem Boot oder zu Fuß nach Karpfen Ausschau, fing und sah aber leider nichts bis Ende April.

Es war ein warmer Nachmittag, der Nordwind hatte sich seit ein paar Tagen beruhigt und das Wasser war seit meinem letzten Besuch in der Woche davor schon fast sieben Grad wärmer geworden. Die Raubfischschonzeit war wieder vorbei, also ließ ich erstmal die Karpfenruten im Auto und fischte die Kanten der großen Flachwasserbereiche vom Boot aus auf Hecht ab. Gleichzeitig konnte ich nach Karpfen Ausschau halten.

Weißfische und Brassen im Flachwasser: Die Karpfen konnten also nicht weit sein. Tatsächlich sah ich wenig später drei kleine Schuppis zwischen den Brassen. Ich fuhr aber noch weiter, ließ mich langsam die Kante entlang treiben und fischte weiter auf Hecht. Das Wasser war plötzlich viel trüber und es dauerte nicht lange bis ich ein Karpfen springen sah. Ich näherte mich der Stelle und sah plötzlich eine Schule von 20-30 Fischen. Es waren fast ausnahmslos größere Fische und sie waren am Fressen! Ich hatte sie gefunden und dazu noch in Fresslaune. Ich ließ mich erst langsam und unauffällig wegtreiben und fuhr dann schnell Richtung Bootsrampe und Auto. Ich war mir so sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis ich den Ersten fangen konnte.

Als ich ans Auto ankam, sah das alles jedoch ganz anders aus. Die Scheibe war eingeschlagen, mein ganzes Karpfenequipment und viel Anderes waren weg! Selbst einen Eimer Mais, die Kamera und meine zweite Raubfischrute hatten die W%$er geklaut. Wenigstens hatte ich das gute Echolot auf dem Boot montiert. Ich fuhr schnell zur Polizei, obwohl mir schon klar war, dass sie bei so etwas nichts machen konnten. Aber zumindest hatte ich einen Beweis und konnte vielleicht etwas von meiner billigen Versicherung zurückerstattet bekommen.

Doch ärgerte es mich auch wegen der Fische, die ich gesehen hatte. Und so dauerte es auch, dank all meiner netten Angelkumpels, nur fünf Tage, bis ich wieder notdürftig ausgerüstet war und angeln gehen konnte. Sofort fuhr ich wieder an den Platz. Alles war aber ganz anders, das warme Wetter war weg, der kalte Nordwind zurück und es regnete ohne Ende. Natürlich waren die Fische nicht mehr da. Ich versuchte es trotzdem zwei Nächte in etwas tieferem Wasser und fing nichts außer zwei Brassen. Den ganzen Mai probierte ich es dort weiter, obwohl das Wasser durch Nordwind und Regen nicht wärmer wurde. Ich war aber noch so wütend darüber, dass ich die Fische verpasst hatte und mir alles geklaut wurde, dass ich mich unbedingt durchbeißen wollte. Ende Mai gab ich dann auf. Ich fühlte mich leer, war enttäuscht und wandte mich wieder leichteren Gewässern zu.

Als ich dann später an diesen Frühlings zurückdachte, war ich einfach dumm gewesen. Ich hatte das Wichtigste beim Karpfenangeln vergessen – nämlich logisch nachzudenken. Natürlich waren im ganzen Mai lang dort keine Fische mehr unterwegs, es war schließlich in diesem Frühling schon Ende April sehr warm geworden, als ich die Fische gesehen hatte. Und dann war es bis Ende Mai nur kalt und nass geblieben und alles hatte in diesem Jahr Verspätung. Sogar im kleinen Kanal hatten sich die Fische erst Ende Mai gesammelt.

Das alles kam mir im Winter letzten Jahres wieder in den Sinn; nach einem erneuten Trip nach Neuseeland für ein paar Monate. Die Corona-Hysterie war schon ausgebrochen und der komplette Lockdown ließ nicht lange auf sich warten. Den ganzen März, April und die erste Maiwoche waren wir in Frankreich eingesperrt. Wir durften nur eine Stunde am Tag aus dem Haus und dann auch nur mit einem triftigen Grund wie Einkaufen, zum Arzt oder zur Arbeit zu gehen. Und das wurde streng kontrolliert. Was das im Frühjahr für einen Angler bedeutet hatte, kann sich jeder selbst ausmalen. Ich konnte es nicht abwarten zurück in die Natur und zum Fischen zu kommen. Die erste Frühlingshälfte war es sehr warm gewesen und ich hatte keine Idee, wie es grade da draußen aussah.

Am 11 Mai durften wir uns wieder frei bewegen. Und genau dann war es bitterkalt. Eisheilige! Das Echolot zeigte eine Wassertemperatur von 13 Grad an der Oberfläche. Ich musste mich noch etwas gedulden müssen, bis ich die Fische wieder im anvisierten Bereich finden konnte. Also fischte ich die ganze Woche weiter auf Raubfisch. Ich hatte unheimlich viel Spaß, endlich wieder am Wasser zu sein. Zehn Tage und einige Hechte später zeigt das Echolot die richtige Temperatur an. Es war Zeit durchzustarten.

Noch am selben Tag fuhr ich nachmittags zum großen Flachwasserbereich. Tatsächlich sah ich vier kleine Schuppis und viele Brassen, die in knapp einem Meter Tiefe die Kante entlang zogen. Ich staffelte meine drei Ruten auf der abfallenden Kante auf einem, zwei und drei Metern Tiefe, in der Hoffnung, dass die besseren Fische etwas tiefer entlang zogen.

Die Ruten stellte ich circa 80 Meter vom Ufer entfernt auf hohen Banksticks auf. Erst hier fiel die Kante von 80 cm langsam ab. Vom Ufer zu angeln wäre wegen dem treibenden Kaut schlichtweg unmöglich gewesen.

Mit der Wathose konnte ich in kurzer Zeit zu den Ruten rennen, sollte ich ein Biss bekommen. Tatsächlich riss mich im Morgengrauen ein Dauerton aus dem Schlafsack. Nach einem Sprint durch das Flachwasser und einem kräftigen Drill landete ein kleiner Schuppi im Kescher. Mit den ersten Sonnenstrahlen fotografierte ich den Fisch und packte glücklich mein Zeug ein. Ich fütterte noch ordentlich entlang der Kante, weil ich gleich nach dem Wochenende zurückkommen wollte.

Sonntags war ich am späten Nachmittag wieder zur Stelle. Ich brachte meine drei Ruten mit der Wathose an die Kante und genoss die schön warme Abendstimmung. Als es dunkel wurde, fing ich einen kleinen Spiegler und dann alle halbe Stunde eine Brasse! Bis Mitternacht ging es so und ich war fix und fertig vom ganzen Herumrennen mit der Wathose. Irgendwann als die Brassen satt waren, fand ich doch noch Schlaf.

Es war wieder im Morgengrauen, als mich meine Funkbox aus den Träumen riss. Das war definitiv keine Brasse! Ich rannte durch das Wasser zur Rute und als ich sie aufnahm, fühlte es sich ganz anders an. Der Fisch schwamm ruhig die Kante entlang. Ohne viel Schnur zu nehmen, kam er schnell an die Oberfläche, plätscherte ein bisschen rum und glitt ins Netz.

Als ich in den Kescher blickte, traute ich meinen Augen kaum…

Da war er endlich, der Riese von dem ich schon so lange geträumte hatte!

Schnell rief ich meinen Kumpel Laurent an und bat ihn mit Kamera und Waage zu kommen. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich in der Sling hatte, schätzte den Fisch aber zwischen 24 und 27 Kilo. Doch als wir wenig später den Fisch gemeinsam wogen, drehte die Wage auf über 30 Kilo! Ich war einfach nur geschockt was da vor mir auf der Abhakmatte lag…

Es war magisch! Die Sonne schien uns ins Gesicht, vor uns lag ein Spiegler, der einfach zu groß für die Abhakmatte war. Seine Proportionen, die Narben, riesigen Flossen und dann dieses Gewässer. So groß, so wild. Ich bin mir sicher, dass dieser Fisch noch nie einen Haken gesehen hat.

All die Strapazen mit gestohlenem Tackle, verpassten Fischen und all die erfolglosen Nächte in den Jahren zuvor haben sich schlussendlich bezahlt gemacht .

Ich werde mich mein ganzes Leben daran erinnern, wie dieser breite Rücken im klaren Wasser davon schwamm. Auf Nimmerwiedersehen!

Bis spät in die Nacht feierte ich mit dem ganzen Stadtteil und meinen engsten Angelfreuden: Merguez, Champagner und laute Musik. Und immer wieder tauchte vor meinen Augen das Bild dieses mächtigen Rückens auf.

Es war der Anfang eines unglaublichen Angeljahres, in dem noch viel passieren sollte…

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