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Hit the road Jake: Neue Stadt, neues Glück (2)

Hit the road Jake: Neue Stadt, neues Glück (2) | Hammer Tackle

Ein Blick in den Kescher, die Knie schlottern, dann ein Freudenschrei über den Fluss. Insgeheim hatte ich genau auf so einen Fisch gehofft. Natürlich kein Riese für die deutschen Baggersee Verhältnisse, aber das war noch nie meine Messlatte. Auf der Matte bestaune ich einen alten, bulligen Spiegelkarpfen, mit ledriger Haut, einer wulstigen Schwanzwurzel und Augen so dunkel wie die Nacht… Zweifelsohne ein wahrer Veteran in der Strömung. Routiniert lasse ich den Selbstauslöser ein paar mal knipsen, dann entlasse ich meinen Gast wieder in sein Element.

Ein bisschen wehmütig beobachte ich seine ruhigen Flossenschläge im seichten Wasser, meine Gedanken schweifen ab. Etwas in mich gekehrt räume ich die Matte und das Stativ weg. Nach Begegnungen mit solch charaktervollen Lebewesen brauche ich immer eine Sekunde, die Eindrücke zu sortieren und die entstandene Ehrfurcht vor dem Tier wertzuschätzen. Man sollte nicht vergessen, dass Karpfen mehr sind als nur erfüllte Ziele oder Trophäen. Ich genieße den Moment, doch ein Surren im Hinterkopf lässt mich irritiert herumfahren.

„Was zum Henker…?“, entfährt es mir, als mein Blick auf meine Ruten trifft. Der Spulenkopf überschlägt sich fast, längst hat es die Rute aus der Sicherung gelüpft. Jetzt hängt sie gerade noch so am Bissanzeiger. Allmählich komme ich mir wie im falschen Film vor, doch der beginnende Drill lässt keinen Platz für Verwunderung. Mit beeindruckender Kraft marschiert das U-Boot flussab und lässt sich nicht stoppen. Die erste Flucht betrug bestimmt 50 Meter, dann gelingt es mir erstmals den Fisch zu stoppen. Um es kurz zu fassen, dieser Drill war wohl mein rasantester jemals. Am Ende ging ich als Sieger hervor und vor mir wälzte sich der nächste große Spiegler.

Zu diesem Zeitpunkt war die Session schon ein voller Erfolg. Doch Petrus schien ganz auf meiner Seite zu sein. Bis ich am nächsten Vormittag völlig erschlagen einpackte, zählte ich weitere fünf Karpfen. Die meisten davon ließ ich direkt wieder schwimmen, es waren lange Schuppis um die 12 Kilo. Lediglich den letzten Besucher, einen etwas verschobenen Gesellen, hielt ich nicht nur als Bild im Kopf fest…

Vermutlich hätte jeder hier weitergemacht. Doch ich hatte das Gefühl an dieser Stelle, zumindest vorerst, mein Soll erfüllt hatte.

Die Tage wurden zunehmend dunkler, düsterer und irgendwie machte sich eine anhaltende Anspannung breit. Durch neue Covid-Maßnahmen kam das soziale Leben zum Erliegen und als Neuling in der Stadt wurde das Leben farblos. Ein Studium ohne Präsenz-Vorlesungen, im Ernst? Das hatte ich mir nicht gewünscht.

Laute Rufe und Parolen dringen an mein Ohr. Jemand rempelt mich von der Seite an, frägt mich was ich hier zu suchen habe und schlägt nach meiner Kamera. Ohne zu Antworten mache ich einen Satz zurück und setze mich auf eine hohe Mauer. Von hier habe ich einen groben Überblick über die Menschenmassen und werde in Ruhe gelassen. Die Leipziger Innenstadt verwandelt sich in eine brodelnde Fläche. Obwohl alles bis auf ein paar Ausnahmen friedlich abläuft, pumpt es mir ständig Adrenalin in die Adern. Mit der Kamera in der Hand lebe ich hier definitiv riskant. Linke und Rechte demonstrieren gerade für oder gegen die neuen Maßnahmen. Ob es wirklich nur darum geht? Das wage ich schwer zu bezweifeln. Mir kommt das ganze Spektakel etwas Ziellos vor.

Trotzdem teile ich die Anspannung. Den ersten Lockdown verbrachte ich komplett in der Natur und lebte fast ohne Einschränkungen. Doch dieses Blatt wendete sich, als es im Herbst vom Baum fiel. Ich bin nicht mehr nur jener vogelfreie Outlaw im roten Opel, den gesellschaftliche Themen und Ereignisse kaum tangieren. Jetzt hänge ich zu gewissem Teil mit drinnen.

Doch ich will auch nicht die Augen schließen, egal wie viel wohler und geborgener ich mich in der Wildnis von Bergen, Wäldern oder am Wasser fühle.

Ich sehe es als eine gewisse Pflicht, meinen möglichen Teil beizutragen. Sei es mit ständigem Bemühen, meine Liebe zur Natur, dem Kochen, ja generell mein freiheitsliebendes Leben zu vermitteln und weiterzutragen. So will ich künftig auch bei anderen Themen, deren Ursprung weitaus mehr in der gesellschaftlichen Mitte wurzelt, aktiv werden.

Doch genug des Abschweifens, lieber Leser, kehren wir zurück in den Bann des sich vor meiner Haustüre schlängelnden Flusses. Hier konfrontierte mich nämlich eine ganz andere Veränderung. Frost!

Die nächste Session wurde zu einer wirklichen Herausforderung, denn nur kurz nach dem Dunkelwerden sanken die Temperaturen schon unter den Gefrierpunkt. Das Brolly wurde so niedrig wie möglich aufgestellt, zudem warf ich ein Tarp über den Eingang um mich möglichst gut vor der Kälte zu schützen. Der Sommerschlafsack mit kaputtem Reißverschluss kann da kaum etwas entgegen setzen.

Einige frostige Stunden später erlebte ich einen wahrlich magischen Morgen. Gleißendes Sonnenlicht fiel durch die tief hängenden Äste, alles glitzerte in einem kristallenen weiß, bei jedem Schritt knisterte der Boden wie eine frisch gebackene Semmel, wenn man sie noch warm in der Hand hält und eindrückt.

Mit einem dampfenden Tee spazierte ich umher, sog den Moment ein und genoss die friedvolle Stimmung.

Wie vieles sich doch hier, abseits des ganzen Trubels, relativiert…

In den darauffolgenden Tagen startete ich noch zwei Versuche und fing tatsächlich noch einen Karpfen. Trotzdem, Karpfenangeln war nicht mehr mein Fokus. Ich widmete mich den Hechten, Döbeln und natürlich auch dem Studium…

Das Jahr war so ereignisreich, ich glaube es ist mal auch okay in den Leerlauf zu schalten. Zumindest für kurze Zeit. Ruhige Phasen habe ich schließlich selten, und wenn sie kommen, dann meist als Atempause. Denn wie ich mich kenne, stehen die nächsten Abenteuer ganz bestimmt schon vor der Tür.

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